Testbericht Graham Audio BBC LS 5/9
Sonderdruck 4/2014

Glauben Sie an die Auferstehung? Oder an die ewige Wiederkehr? Wenn ja, sind Sie in guter Gesellschaft, die große Mehrheit der Weltbevölkerung tut es.

Das mag daran liegen, dass im Unbewussten jeder von uns, wie Sigmund Freud vor fast hundert Jahren schrieb, von seiner eigenen Unsterblichkeit überzeugt ist. Doch auf die wirklich großen Menschheitsfragen dürfen wir keine Antworten erwarten, das wissen und spüren wir. Reinhard Mey hat über das jenseits des Lebens Liegende einmal getextet, »doch eh’ nicht einer wiederkehrt und mich eines Besseren belehrt, möcht’ ich mir dort den Himmel denken«. Schön formuliert. Klar, auch dann ist immer noch der Wunsch der Vater des Gedankens, aber ist es aus psychologischer
Sicht wirklich ein Fehler, sich von Herzen zu wünschen, dass eines Tages nicht alles vorbei ist? Lässt sich das Leben in diesem »Vertrauen « nicht besser meistern? Stopp, das hier ist ein HiFi-Magazin, hier geht es um technische Gerätschaften und Musik. Ja, aber auch in unserer Szene geschehen immer wieder Zeichen und Wunder. Meist kleine, aber immerhin. Für Freunde der klassischen BBC-Lautsprecher ist in diesem Jahr tatsächlich etwas »Unmögliches« geschehen: Die seit Jahren vom Markt verschwundene LS 5/9 ist wieder da.

Paul Westlake von Graham Audio hat sie auf der High End vorgestellt, und ich habe zunächst nicht richtig gewusst, was ich von der Nummer halten sollte. Die einst eingesetzten Chassis sind doch längst nicht mehr verfügbar, ist das also wieder so eine China-Replik, die mit dem Original  nichts zu tun hat? Westlake wollte meine Zweifel zerstreuen, man habe schließlich die offizielle Lizenz der BBC erhalten und dafür auch keinen Aufwand gescheut. Was mir noch wichtiger erschien: Graham Audio konnte mit Derek Hughes einen der profundesten Kenner der  BBC-Lautsprecher-Welt für das ehrgeizige Projekt gewinnen. Nach der Botschaft war meine anfängliche Skepsis verflogen, wenn einer das anständig hinbekommt, dachte ich mir, dann Derek.

Ich habe mit ihm für diesen Bericht ganz altmodisch telefoniert. Es gibt aber auch ein gut zwanzigminütiges Interview im Web, in dem Derek Hughes ebenso offen wie bescheiden über seine Arbeit plaudert, gänzlich frei von dem üblichen Marketing- Singsang. Die einfachste Aufgabe war es natürlich, das Gehäuse und die Bedämpfung nachzubilden, schließlich ist die Entwicklung der LS 5/9 im BBC- Design-Report 1983/10 feinsäuberlich festgehalten. Dünnwandiges Birkensperrholz und Bitumenplatten zu dessen Bedämpfung gibt es noch immer, und auch die in Stoff eingepackte Mineralwolle lässt sich problemlos auftreiben. Während die Rückwand  des Gehäuses eingeleimt ist (das war beim
Original auch so), kann man die Schallwand entfernen. Graham Audio hat hierfür aber nicht einfach Schrauben in die Hartholzleisten gedreht, sondern Gewindebuchsen eingesetzt. Ein kleines, aber feines Detail, ebenso wie die magnetisch haftende Frontbespannung, die wirklich leicht zu entfernen ist (das ist bei BBC-Lautsprechern und ihren Verwandten nicht immer der Fall gewesen).

Wie bei der LS 3/5 A: Chassis und Weiche der LS 5/9 sind zusammen auf der Schallwand montiert, der Teiftöner ist von hinten befestigt.

Wie bei der LS 3/5 A: Chassis und Weiche der LS 5/9 sind zusammen auf der Schallwand montiert, der Teiftöner ist von hinten befestigt.

graham_techBeim Hochtöner half das Glück. Die berühmte 34 Millimeter große Audax-Kalotte war seinerzeit (1983) einer der wenigen Hochtöner mit hohem Wirkungsgrad und hoher Belastbarkeit, auch ohne Ferrofluid. Entworfen hat ihn der damalige Audax-Entwickler Jacques Mahul, der später Focal gründete. Als Audax ins Harman-Portfolio überging, flog der HD13D34H aus dem Programm und war jahrelang nicht verfügbar. Nach Audax’  Rückkehr in die Eigenständigkeit wird auch die große Kalotte wieder  gebaut, jetzt als TW034XP. Dank eines neuen Textilgewebes hat diese Version sogar einen besseren Frequenzverlauf, das Original hatte immer mit einer Anhebung um 13 Kilohertz zu kämpfen, um danach steil abzufallen.

Den eigentlichen Stolperstein aber, das war allen Beteiligten klar,  markierte der 20er-Tiefmitteltöner mit Polypropylenmembran. Der war einst eine BBC-Entwicklung, für die unterschiedliche Konusformen ausprobiert wurden (zuvor hatte die BBC über 300 verschiedene   Kunststoffe auf ihre Eignung als Membranmaterial untersucht). Der  Treiber wurde von Rogers gefertigt, wie sollte man den  rekonstruieren? Hier kommt David Lyth von Volt ins Spiel, der einen Ersatz entwarf und an Derek Hughes sendete. Nach dessen Anregungen fertigte Lyth eine weitere Version, und bereits dieses zweite Volt-Chassis war perfekt, wie  mir Derek versicherte. Auch das Polypropylen für die Membran sei dem Original sehr ähnlich. Seine Aufgabe war es nun, die Frequenzweiche auszutüfteln und den Lautsprecher abzustimmen. Hier tauchte bereits das nächste Problem auf: Woran sollte man sich orientieren, am BBC-Design-Report oder an den von Rogers produzierten Modellen? Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war die LS5/9 alles andere als ein unumstrittener Lautsprecher, die Rogers hatte damals keine wirklichen Verehrer, auch innerhalb der BBC nicht (der Kult um diese Box entstand erst später im Web). Beim Test in der HiFi News (8/1986) fiel sie glatt durch. Zu Recht, denn die LS 5/9 litt unter einer Mittensenke zwischen 500 Hertz und 3 Kilohertz, besonders deutlich war die unter den Winkeln. Für einen Artikel über Rogers hatte ich vor gut zwanzig Jahren einmal die Wahl zwischen der LS 5/9 oder einer LS 3/5A. Zusammen mit einem Mit mir Derek versicherte. Auch das Polypropylen für die Membran sei dem Original sehr ähnlich. Seine Aufgabe war es nun, die Frequenzweiche auszutüfteln und den Lautsprecher abzustimmen. Hier tauchte bereits das nächste Problem auf: Woran sollte man sich orientieren, am BBC-Design-Report oder an den von Rogers produzierten Modellen? Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war die LS5/9 alles andere als ein unumstrittener Lautsprecher, die Rogers hatte damals keine wirklichen Verehrer, auch innerhalb der BBC nicht (der Kult um diese Box entstand erst später im Web). Beim Test in der HiFi News (8/1986) fiel sie glatt durch. Zu Recht, denn die LS 5/9 litt unter einer Mittensenke zwischen 500 Hertz und 3 Kilohertz, besonders deutlich war die unter den Winkeln. Für einen Artikel über Rogers hatte ich vor gut zwanzig Jahren einmal die Wahl zwischen der LS 5/9 oder einer LS 3/5A.  Zusammen mit einem Mitarbeiter des Vertriebs haben wir direkte  Vergleiche angestellt und uns beide für die LS 3/5A entschieden. Die war  zwar kleiner und daher Bassschwächer, aber in den Mitten deutlich  ausgewogener.

Interessanterweise ist eine solche Mittensenke im BBC-Report nirgends dokumentiert. Es wäre auch verwunderlich, schließlich sollte die LS 5/9 als »Grade 1«-Monitor – anders als die LS 3/5 A – für die kritische  Beurteilung von Programm-Material und Mikrophonpositionierungen verwendbar sein. So steht zu vermuten, dass die LS 5/9 nie so in Serie gegangen ist, wie sie ursprünglich entwickelt wurde. Da es wenig Sinn macht, die Macken der Rogers-Modelle nachzuahmen, ist die Graham-Box  nun die wohl erste Inkarnation der LS5/9, wie sie immer sein sollte – mit  einem möglichst glatten Frequenzgang. Und wie unsere Messungen zeigen,  hat Derek Hughes das sehr gut hinbekommen. Die Trennfrequenz liegt bei cirka 2,7 Kilohertz, die elektrischen  Flankensteilheiten bei 12 dB im Bass und 18 dB für den Hochtöner. Derek Hughes teilt meine Ansicht, dass viele »audiophile   Wunderkondensatoren« nichts taugen, er  verwendet in der LS 5/9 »Cross-Cap«-Folientypen von Jantzen aus  Dänemark. Als Anschluss gibt es wie beim Original einen Klemmensatz,  Bi-Wiring kam erst nach 1983 auf.

Klanglich liegt die LS 5/9 genau auf meiner Wellenlänge: ausgewogen, unaufdringlich, herrlich unspektakulär, ideal zum langen Musikhören. Dabei stören ja Fehler von Lautsprechern sehr viel stärker, als das  vermeintliche Stärken wieder auszugleichen vermögen. Natürlich habe ich  in bester BBC-Tradition die Stimmenwiedergabe überprüft, auch in Mono  (siehe »Voice & Noise«- Test, Heft 1/2013). Im Vergleich zur Harbeth  Monitor 30.1, die sich in den Präsenzlagen leicht zurückhält, geht die LS 5/9 nahezu glatt durch diesen so kritischen Frequenzbereich hindurch. Dank der gut bedämpften Polypropylen- Membran kann sie sich das  erlauben und liegt hier näher bei einer Dynaudio Special 25 als der  Harbeth. Oberhalb von 10 Kilohertz kehrt sich das Bild um, die Monitor  30.1 meistert die letzte Oktave ohne Abstriche, die LS 5/9 strahlt weniger Pegel ab und lässt im Rundstrahlverhalten nach. Es ist also kein Wunder, dass mit unterschiedlichem Musikprogramm auch die Präferenzen hin- und herwandern: Mal bevorzugt man die etwas prägnanter agierende LS 5/9, mal die vornehme Noblesse der Harbeth. Am Ende überwiegen die  Gemeinsamkeiten, ich persönlich habe mich noch nicht entschieden. Ihr schlechtes Image wird die LS 5/9 indes bald los sein, für mich ist die  Graham Audio die verlockendste Lautsprecher-Versuchung der letzten  Jahre.

Fazit

Die LS 5/9 ist tatsächlich wieder auferstanden, und sie präsentiert sich der Welt in besserer Verfassung denn je. Mit viel Sorgfalt und unter Mithilfe von Derek Hughes und David Lyth hat Graham Audio dafür gesorgt, dass die BBC-Tradition fortgeschrieben wird. Die von Rogers gebaute LS 5/9 war eine Box, jetzt ist die Fünf-Strich-Neun das geworden, was sie immer sein sollte: ein echter BBC-Monitor. Wilfried Kress ■

 

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